Wer war nochmal Rumpelstilzchen?

Ein armer Müller hat eine wunderschöne Tochter, die Stroh zu Gold spinnen kann. Eines Tages trifft der Müller den König und erzählt ihm davon. Der König hellauf begeistert, trägt dem Müller auf, am Folgetag seine Tochter in sein Schloss zu bringen. Gesagt, getan. Die Müllerstochter findet vor Ort eine Kammer voll Stroh, deren Inhalt sie bis zum nächsten Morgen zu Gold spinnen soll. Andernfalls muss sie sterben, sagt der König und lässt sie alleine in der Kammer zurück.

So dann begann die Müllerstochter zu weinen, weil sie um ihr Leben bangte. In ihrer Not erscheint ihr plötzlich ein kleines Männlein und fragte, was los sei. Die Müllerstochter erklärt die Umstände. Das Männlein fragt, was sie bereit sei zu geben, wenn es ihr hilft. Sie gibt ihm ihr Halsband, das Männlein setzt sich ans Spinnrad und spricht: Schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll… und so fort bis alles Stroh versponnen war.
Das Männlein Rumpelstilzchen eilte ihr auch in der zweiten und dritten Nacht zu Hilfe. Unterdes wurde sie ihren Ring los und der König drohte sie zur Frau zu nehmen, wenn sie ihm auch die letzten Kammer voll Stroh und Gold spänne.

Und kam es, dass die Müllerstochter Königin wurde. Nach einem Jahr gebar sie ein Kind, als plötzlich Rumpelstilzchen wieder auftauchte und sie in ihr Versprechen erinnerte. Vor der Hochzeit hatte sie ihm ihr erstes Kind versprochen. Sie versuchte vergebens Rumpelstilzchen für alle möglichen Reichtümer zu begeistern. Nein, sagte es. „Etwas Lebendiges ist mir lieber als alle Schätze der Welt.“ Die Königin war verzweifelt. Rumpelstilzchen gab ihr drei Tage Aufschub. Wenn sie bis dahin seinen Namen wüsste, dürfe sie ihr Kind behalten. Die Königin sandte Boten über Land, der den Namen bei Hinz und Kunz erfragen sollte. Ohne Erfolg. Am zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen. Abermals ohne Erfolg.

Am dritten Tag schließlich sagte der Bote, er habe am Waldrand das Männlein beobachtet, wie es um ein Feuer tanzte und sang:

Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind,
ach, wie gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß.

Als Rumpelstilzchen in der dritten Nacht die Königin aufsuchte und sie ihn fragte: „Heißt du etwa Rumpelstilzchen?“ packte es der Zorn und es riss sich selbst mitten entzwei.

… was will uns das sagen?
Die schöne Tochter hat keine Freiheit ihre ureigenen Qualitäten frei zu entfalten. Sie steht unter dem Zwang, sich nach außen hin gegen die väterlichen Erwartungen zu wehren, um ihr Gesicht zu wahren, gleichzeitig aber diese Erwartungen nach innen zu erfüllen, um die Liebe des Vaters nicht zu verlieren. Ein emotionaler Spagat, der auf Dauer nicht tragfähig ist.

Emotional betrachtet missbraucht der Vater seine Tochter, denn er ignoriert ihre persönliche Befindlichkeit völlig, reduziert sie auf die Funktion der schönen Tochter. Der König seinerseits setzt den Missbrauch fort, indem er sie auf die Funktion der Goldspinnerin reduziert. Beide Männer unterwerfen das Mädchen ihren egoistischen männlichen Interessen.
Die wirkliche Befreiung kann nur aus der Müllerstochter selbst kommen, in dem sie die Liebe zu sich selbst findet und sie sich über IHRE Version des Lebens klar wird. Ihr von außen zugedachte Rollen darf sie vertrauensvoll loslassen.

Wann immer eine Frau in der Zwickmühle sitzt (beruflich, privat, partnerschaftlich usw.) und auf eine helfende Hand im Außen wartet und obendrein noch von einem Mann, läuft sie Gefahr ausgebeutet, missbraucht, verachtet und benutzt zu werden.
Männer haben sich Verhaltensweisen zu Eigen gemacht, ihre vermeintliche Männlichkeit zu demonstrieren, ohne sie wirklich beweisen zu müssen. Ein Kern davon ist, das essentiell Weibliche zu verachten, zu benutzen, zu missbrauchen. Männer, die das Weibliche hingegen schätzen und achten, werden von manchem Geschlechtsgenossen mit Argwohn betrachtet.

Eine Frau kann nur in ihre Weiblichkeit kommen, wenn sie sich selbst vertraut, sich liebt und annimmt, gut mit sich umgeht, sich auf sich selbst verlässt und in sich ruht.